Friedrich Traugott Kützing – ein bedeutender Naturforscher des 19. Jahrhunderts

Friedrich Traugott Kützing als Nordhäuser Bürger

Kützing als Bürger – man könnte fragen, ob es sich überhaupt lohne, über dieses Thema zu schreiben angesichts eines Mannes, der seine Zeit völlig seiner Wissenschaft und der Lehre widmete.1 Kützing und die Polis, die Res Publica, das dürfte wohl kaum der Untersuchung wert sein, wäre da nicht ein Brief von ihm, verfasst in den dramatischen Tagen des November 1848, aus dem hervorgeht, dass auch ein Kützing einmal in den Strudel der politischen Leidenschaften gerissen wurde. Um sein Schulamt bangend, versuchte er sein Handeln zu rechtfertigen. Er zog daraus Lehren und hielt sich hinfort fern von liberalen oder sogar freisinnigen Bestrebungen. War in dieser Hinsicht das Revolutionsjahr ein Wendepunkt, so blieb für ihn charakteristisch, dass er kein Stubengelehrter war, sondern auf das praktische Leben orientiert, darauf bedacht, unter seinen Mitbürgern naturwissenschaftliche Erkenntnisse zu verbreiten und diese im Alltag anzuwenden. Es ist freilich in jedem Falle wichtig, den Forscher nicht isoliert zu sehen, sondern eingebunden in dem Gemeinwesen, das ihn für mehr als ein halbes Jahrhundert in seine Obhut nahm und mit dem ihn ein vielfältiges Geflecht von Beziehungen verband.

Wie Kützing in seinen Erinnerungen bemerkt, wollte er nicht besonders gern nach Nordhausen gehen. Er hatte andere Pläne: eventuell eine zweite Reise zu unternehmen, nachdem die erste so erfolgreich verlaufen war, oder in Berlin eine Anstellung am Königlichen Herbarium oder an der Universitätsbibliothek zu finden. Die Gelegenheit, an der neu errichteten Realschule den Unterricht in der Chemie und Naturgeschichte zu übernehmen, nahm er nur zögernd wahr. Ich hatte keine Lust zu dieser Reise, aber mein Schwager und meine Schwester fanden es unerhört, dieses Anerbieten von der Hand zu weisen. Mein Schwager besorgte für den folgenden Tag, ohne mich weiter zu fragen, einen Einspänner aus Weißenfels, und so fuhr ich denn fast willenlos in seiner Begleitung nach Nordhausen ab.2 Das Gespräch mit Realschul-Direktor Dr. Fischer fand statt, und Kützing scheint schon jetzt eine bindende Zusage gegeben zu haben. Einen Tag nach der Rückkehr von seiner Reise erhielt er die Berufung vom Magistrat.

Es war ein ganz persönlicher Grund, der ihn nach Nordhausen führte: der Wunsch nach einer festen Anstellung mit der entsprechenden finanziellen Absicherung, um eine Familie gründen zu können. Der Nordhäuser Freimaurerloge hat einmal ein umfangreiche[r], äußerst interessante[r] Lebenslauf vorgelegen, den Kützing 1838 bei Aufnahme in die St. Johannisloge Zur gekrönten Unschuld verfasste und der leider nicht mehr vorhanden ist.

Darin schrieb er, das Mädchen, das er schon lange geliebt, habe seine Zweifel entschieden. Ich hielt um die Stelle an und erhielt sie; item um meine alte Liebe und erhielt sie auch. Der Lebenslauf schloss mit der Versicherung, dass er sich hier in Nordhausen glücklich fühle.3 Dieses Mädchen, Marie Elisabeth Brose (1816–1885), ihm bereits aus seiner Lehr- und Gehilfenzeit 1828 bekannt, hatte er 1833 in Aschersleben wiedergesehen. Sie verlobten sich am 24. Dezember 1835 in Aschersleben und heirateten ebendort am 1. Oktober 1837.4 Sein Schwiegervater, Professor Heinrich Brose zu Berlin, scheint diese Verbindung missbilligt zu haben.5

Am 15. Oktober 1835 trat Kützing seine Stelle in Nordhausen an.6 Den ältesten Bruder Johann Daniel Christoph verband bereits eine Beziehung zu Nordhausen. Er wird als Mitglied der Nordhäuser Freimaurer-Loge seit dem 11. Februar 1824 genannt.7

Unser F. T. Kützing beschreibt seinen ersten Eindruck von der Stadt, in der er hinfort zu leben gedachte: Als wir in Nordhausen zum Siechentore einfuhren, begegnete unserm Wagen eine Herde Schweine, die fast die ganze Breite der Straße einnahm und nach der Schwemme getrieben wurde. Da unsere Fahrt hierdurch gehemmt wurde, versuchte unser Kutscher mit seiner Peitsche die Schweine aus dem Weg zu treiben, aber der begleitende Futterbursche erhob gegen unsern Kutscher seine Peitsche mit der Drohung: ´Wann he die Schwiene schlätt!´ Es war nämlich damals noch die löbliche Sitte in Nordhausen, daß jedermänniglich auf der Straße einer Schweineherde ausweichen mußte, ein Wagen aber mußte bei der Begegnung so lange stillhalten, bis das liebe Borstenvieh vorüber war.8

Nordhausen war freilich alles andere als eine Idylle. Nach dem Erlass der „Revidierten Städteordnung“(1831) war 1832 die städtische Selbstverwaltung eingeführt worden. Ende Januar 1832 fanden die ersten Stadtverordneten-Wahlen statt. Doch zur Erlangung des Bürgerrechts und für das aktive Wahlrecht war ein Grundbesitz im Wert von 500 Talern oder ein Gewerbe-Jahreseinkommen von 250 Talern erforderlich. Wählbar war nur derjenige, der einen Besitz von mindestens 5000 Talern Grundvermögen oder ein Jahreseinkommen von mindestens 500 Talern nachweisen konnte. Fremde, die sich hier niederlassen wollten, mssten als „Schutzverwandte“ (nach dem Ortsstatut von 1841) eine Gebühr von 226 Talern 20 Groschen entrichten. Beamte, Militärpersonen, Geistliche und Lehrer waren davon befreit.

Das Wirtschaftsleben stagnierte seit langem, und viele Bürger, bis zum Jahre 1802 einer reichsfreien Stadt angehörend, hatten sich noch nicht mit den harten Realitäten der preußischen Herrschaft abgefunden. Die überall auftretende massenhafte Verelendung, namentlich des Handwerks, führte zu wachsenden sozialen Spannungen. Nicht wenige Einwohner suchten ihre Not durch illegalen Schmuggel zu lindern, andere sahen einen Ausweg in der Auswanderung nach Amerika.9 Diese Spannungen erreichten gerade zu jenem Zeitpunkt, als Kützing hierher kam, ihren Höhepunkt. Wegen des ausgedehnten Schmuggels, der über die nahe gelegenen Grenzen zum Herzogtum Braunschweig und zum Königreich Hannover betrieben wurde, war 1832 preußisches Militär, die 4. Jägerabteilung mit zwei Kompanien, von Halle nach Nordhausen verlegt worden. Da nicht wenige echte oder vermeintliche Schmuggler aus der Stadt, insbesondere aus der Gegend um den Frauenberg herum, stammten, ereigneten sich in diesen Jahren schwere Zwischenfälle, wurden auch Unschuldige, darunter Familienväter, erschossen. Als am 27. Februar 1835 der Maurergeselle Brinkmann in der Weberstraße, inmitten der Stadt (!), von einem Grenzjäger mit einem gezielten Schuss getötet wurde, folgten seinem Sarg Tausende Nordhäuser, darunter in geschlossener Einmütigkeit der gesamte Magistrat. Am 27. September 1837 wurde Bürgermeister Kölling, am Abend aus dem Gasthaus Zum Schurzfell heimkehrend, von einem angetrunkenen Grenzjäger mit dem Gewehrkolben blutig geschlagen. Wiederum wurde die gesamte Bürgerschaft von maßlosem Zorn ergriffen.10

Trotzdem scheint sich der Neuangekommene in Nordhausen bald heimisch gefühlt zu haben, denn er schreibt in seinen Erinnerungen: Man kam mir überall [ ... ] freundlich entgegen, und als vielgereister Mann, dem zugleich ein gewisser Gelehrtenruf voranging, war ich überall in den geselligen Kreisen gern gesehen, ja, gesucht. Zum Martinsfeste hatte ich 11 Einladungen.11

Am 9. November 1835 informierte der Magistrat die Stadtverordneten-Versammlung darüber, daß der Pharmazeut Herr Friedrich Kützing als Lehrer der Chemie an der neu errichteten Realschule vorläufig provisorisch angenommen worden ist und demnächst der Kgl. Regierung zur Bestätigung vorgeschlagen werden soll. Man bemerkte auch, daß der p. Kützing bereits an einer höheren Töchterschule zu Halle als Lehrer gearbeitet hat und im Gebiet der Naturwissenschaften als Schriftsteller bereits rühmlich aufgetreten ist. Auch hat derselbe nach der mündlichen Anzeige des Direktors der Anstalt Dr. Fischer in den ihm provisorisch übertragenen Lektionen wünschenswerte Lehrgeschicklichkeit bewiesen, so daß wir von ihm eine erfreuliche Wirksamkeit für die aufblühende neue Anstalt erwarten dürfen.12 Der zunächst noch unverheiratete junge Lehrer lebte zuerst bei einem Kollaborator (Hilfslehrer) namens Niemeier am Schulhof. Dieser war Ordinarius der Quarta des Gymnasiums und wohnte laut Adressbuch von 1834 Schulhof 559 in einer schuleigenen Wohnung. Als Schulhof wurde ein ziemlich großer Platz bezeichnet, dessen Eingang zwischen Kutteltreppe und Predigerstraße lag. Linker Hand, zur Predigerstraße hin, befand sich das Gymnasium, dazu die Wohnung des Direktors. Das Adressbuch nennt außerdem noch vier Schullehrer-Wohnungen in Nr. 556, 557, 559 und 560, die wohl alle sich zum Primariusgraben hin erstreckten. Die Realschule befand sich anfangs Ritterstraße 3 (Joachimi, später Arand, alte Nr. 524). Zunächst wurde nur die erste Etage, seit 1836 auch das Parterre von der Realschule genutzt, die seit Michaelis 1835 erst aus drei Klassen bestand. An hauptamtlichen Lehrkräften waren außer ihm nur der Mathematiker Dr. Fischer und der Neusprachler Dr. John vorhanden. Daneben unterrichteten der Zimmermeister Gerns im Zeichnen und Pastor Silkrodt in Religion. Seit 1840 befand sich die Realschule in einem Neubau am Friedrich-Wilhelm-Platz. Kützing hatte also in den ersten Jahren von seiner Wohnung am Schulhof keine 3 Minuten bis zur Stätte seines pädagogischen Wirkens zu gehen. Letzteres begann er mit 7 Wochenstunden in Naturgeschichte und 3 in Chemie. Wir entnehmen den Schulnachrichten ferner, dass er 1838 als Oberlehrer vereidigt wurde, dass er 1838/39 16 Wochenstunden, 1839/40 19 Wochenstunden zu unterrichten hatte.

Bei seinem Amtsantritt waren ihm 300 Taler zugesichert worden.13 Inwieweit dieses Versprechen eingehalten wurde oder bis zu welchem Zeitpunkt man ihn vertröstete, ist nicht bekannt. Am 19. Februar 1838 richtete er ein Gesuch um Gehaltszulage an den Magistrat und am 16. April ein gleiches an die Stadtverordneten-Versammlung. Man beschied ihn dahingehend, er möge sich gedulden, bis das projectirte neue Schulgebäude für die Realschule fertig sei und dieselbe ihre volle Organisation erhalten haben werde.14 Man fügte hinzu, bei dem guten Ruf des Dr. Kützing in und außerhalb Preußens bestehe aber die Gefahr, daß derselbe der Realschule entzogen, wenn er derselben nicht durch Vermehrung seines Gehaltes erhalten würde. Er trug sich in der Tat mit dem Gedanken, sich für eine besser dotierte Stelle in Leipzig zu bewerben. Dieser für unsere Stadt nicht gerade schmeichelhafte Umstand ist bisher in keiner Kützing-Biographie erwähnt worden.15 Unsere Stadtväter waren einsichtig genug, ihm im Herbst 1840 eine Gehaltszulage von 100 Talern zu bewilligen. Am 18. Januar 1844 wurde er zum Professor ernannt und erhielt am 1. Januar 1854 eine Gehaltserhöhung von 50 Talern.

Nach seiner Heirat bezog das Ehepaar Kützing eine geräumige Wohnung in der Elisabethstraße 837 (neue Hausnummer 12). An Platz fehlt mirs nicht, ich habe ein Haus allein und wohne in einer sehr anmuthigen Gegend, in einem großen Garten, den ich zu meinen Vorträgen benutzen kann. Auch habe ich gleich vor meinem Fenster Teiche und Gräben, in welchen Algen genug vorkommen, die ich gleich frisch untersuchen kann [...] schrieb Kützing am 8. Oktober 1837.16 1848 wird er unter dieser Adresse als Inhaber einer Pensions-Anstalt für Knaben bezeichnet.17 Im selben Jahr, noch vor Jahresmitte, zog er in eine neue Wohnung Grimmel 23. Es war, wenn man, von der Wassertreppe her kommend, den Grimmel betritt, das Eckhaus links vor dem Mühlgraben, der auch hier wieder unmittelbar vor seiner Tür floss. Am 21. Dezember 1850 kaufte er das Haus von C. G. Kettembeil, Petersberg 213 (neue Hausnummer 31). Da es der Witterung sehr ausgesetzt war – es war das letzte Haus vor der Schlunztreppe mit freiem Giebel nach Südwesten – ließ er die West- und Südseite beschiefern und bezog sein neues Heim Ende Februar 1851.18

Aus der Ehe gingen 6 Kinder hervor: 1. Kurt Heinrich Karl, geb. am 10. Dezember 1838, gest. am 19. Dezember 1861 an Auszehrung; er war Zögling einer Malerakademie; 2. Paul Erich, geb. am 8. Februar 1841, gest. am 6. Mai 1862 an Auszehrung; am 21. Dezember 1861 hatte er in Clausthal sein Examen als Berg- und Hütteningenieur bestanden; 3. Karl Johann, geb. am 12. November 1842; Michaelis 1860 legte er an der Realschule die Reifeprüfung ab und widmete sich dem Civilingenieurdienste; 4. Friedrich Georg, geb. 21. August 1844; als Taufpaten werden genannt Oberlehrer Louis Brandt und Dr. phil. Zimmermann, beide Lehrer an der Realschule 19; 5. Margarethe Julia Clara Henriette, geb. am 5. Juni 1850; sie heiratete am 27. September 1874 den Diakon Häuser in Kelbra20; 6. Dorothee Marie Louise, geb. am 15. Januar 1856, gest. am 15. Juni 1862.21

In der Familie der Brennerei Rudolph Schulze erinnerte man sich gern an Margarethe, Gretchen Kützing, die befreundet war mit Louise Bloedau, der Tochter des beliebten Arztes und stadtbekannten Demokraten Dr. med. Ludwig Bloedau (1820–1870). Sie [Louise] erzählte oft, wieviel schöne Kindheitsstunden sie in dem Haus unter der Petrikirche, wo Kützings wohnten, vebracht hat, besonders in dem schönen Berggarten, vor allem bei dem schönen Puppenspiel, worin Gretchen Kützing unerschöpflich gewesen sei. Später wurde aus Gretchen Kützing Frau Pastor Häuser in Herrmannsacker im Südharz, dem idyllischen Dörfchen unter der Ebersburg, und es gehört wieder zu den freundlichsten Kindeserinnerungen, wenn wir mit unserem alten Friedrich auf dem Bock dorthin ins gastliche Pfarrhaus fuhren, wo wir immer herzlich aufgenommen wurden.22

Kützings Freundes- und Bekanntenkreis scheint sich in erster Linie auf seine Kollegen an der Realschule erstreckt zu haben. Von ihnen haben ihm wohl näher gestanden: 1. Direktor Dr. Carl Fischer. Dieser war Taufzeuge von Kützings 1838 geborenem Sohn Karl, und Kützing wiederum war Pate bei Fischers 6. Kind Terese, geb. am 23. Juli 1837; 2. Ludwig Brandt, von 1835 bis 1853 Lehrer an der Realschule, dann nach Erfurt berufen. Brandt war, wie schon erwähnt, Taufzeuge bei Kützings Sohn Friedrich. Ein weiterer Taufzeuge war Dr. Wilhelm Zimmermann, Lehrer an der Realschule von 1842 bis 1853. Weitere tüchtige und angesehene Kollegen, deren Namen bis heute in der Stadt einen guten Klang haben, waren Dr. Karl John (1804–1891), Dr. Christian Krenzlin (1826–1919), Dr. Theodor Perschmann, von 1857 bis 1861 an der Realschule, dann am Gymnasium (gest. 1887) und Dr. Richard Rackwitz (gest. 1891).

Mit einiger Verwunderung lesen wir, dass Kützing im Jahre 1848 eine Pensions-Anstalt für Knaben betrieben hat. Wir erfahren aber aus dem Adressbuch, dass auch die beiden Oberlehrer Brandt und Dr. John solche Pensions-Anstalten eröffnet hatten. Das hängt sicher damit zusammen, dass sich zahlreiche Schüler der Realschule aus der ländlichen Umgebung rekrutierten und, angesichts der unzureichenden Verkehrmittel, sich in Nordhausen ein Unterkommen suchen mussten. In den schon einmal zitierten Erinnerungen der Familie Schulze heißt es: Die beliebteste Pension, wo auch der Vater [Rudolph Schulze] seine Schuljahre verbrachte, war die im Hause des Professors Kützing [ ... ] Dort mögen sich meine Eltern schon als Kinder getroffen haben, denn Gretchen Kützing, des Professors Töchterlein, war bis ins späte Alter hinein die beste Freundin der Mutter [gemeint ist wiederum Louise Bloedau]. Kützing hat also die Pensions-Anstalt nicht nur im Jahre 1848 – denn nur in diesem Jahr ist sie im Adressbuch erwähnt – sondern über einen längeren Zeitraum betrieben.

Sein Drang zu öffentlicher Wirksamkeit zeigte sich bereits im Jahre 1836, als er gemeinsam mit seinem einstigen Lehrherren Ernst Gottfried Hornung half, in Nordhausen die 6. Versammlung des Naturwissenschaftlichen Vereins des Harzes zu organisieren.23 In den ersten Jahren hielt Kützing öffentliche Vorträge über allgemeine Chemie, die bei der Bürgerschaft großen Anklang fanden. Im Nachrichts-Blatt gab er am 30. Oktober 1837 bekannt, am 14. November damit beginnen zu wollen. Am 20. November 1838 setzte er seine „naturhistorischen Vorlesungen“ fort.24 Den hier 1838 gegründeten Landwirtschaftlichen Verein in der Goldenen Aue unterstützte er viele Jahre lang, wofür er mit der Ehrenmitgliedschaft belohnt wurde. Ein erhaltenes Mitglieder-Verzeichnis dieses Vereins von 1864 nennt ihn bereits als Ehrenmitglied.25 Zu seinem 80. Geburtstag 1887 ließ der Landwirtschaftliche Verein der Goldenen Aue seinem ältesten Ehrenmitglied eine künstlerisch gestaltete Glückwunschadresse überreichen.

In den Jahren 1845 und 1846 trat in ganz Europa eine Kartoffelkrankheit auf, so dass die Erträge weit unter dem Durchschnitt blieben. Auch die Getreideernte erreichte nicht die Ergebnisse vergangener Jahre, was die Preise in die Höhe trieb und die Not der unteren Schichten verschärfte. Als Antwort auf mehrfach an mich ergangene Anfragen veröffentlichte Kützing im Nordhäusischen wöchentlichen Nachrichts-Blatt den Aufsatz Über die Zellenfäule der Kartoffeln.26

Von Einfluss auf die politische Haltung der Lehrer dürfte der Umstand gewesen sein, dass die Realschulen im Vormärz, aber besonders auch nach der Revolution von 1848/49, einen schweren Stand hatten. In den Jahren 1844 bis 1847 machte man ihnen den Vorwurf, sie seien Brutstätten des Materialismus und der Gottlosigkeit.27 Diese Angriffe blieben nicht ohne Erfolg. Die Schülerzahl verringerte sich 1845 auf 104, 1846 auf 97 Schüler. Stärker als das Gymnasium wurde die Realschule von jenen Schichten favorisiert, die nicht nur das Bedürfnis hatten, sich Kenntnisse über die neuesten Entdeckungen auf naturwissenschaftlich- technischem Gebiet anzueignen, sondern die auch aufgeschlossen waren für die politischen Forderungen des Vormärz, eines Friedrich List, eines Friedrich Harkort, eines Robert Blum. Die Stadt Nordhausen wurde 1847 in der preußischen Monarchie und darüber hinaus bekannt als der Ort, wo sich ein Massenaustritt aus der evangelischen Landeskirche ereignete und 101 bisherige stimmfähige Mitglieder der Kirchengemeinde St. Nicolai eine Freie Protestantische Gemeinde gründeten. Sie bereiteten den Abfall von Gott vor, um bald vom König abfallen zu können, schrieb König Friedrich Wilhelm IV. am 4. Januar 1847 voller Entrüstung.28 Die Freie Gemeinde, die 1850 etwa 1500 Mitglieder zählte, stand neuen Erkenntnissen der Naturwissenschaft und Technik, aber auch der Pädagogik, sehr aufgeschlossen gegenüber und gründete z. B. 1850/51 einen der ersten Kindergärten in Preußen (die Freie Gemeinde in Breslau hatte kurz vor ihr den ersten preußischen Kindergarten gegründet). Kützing selbst hat dieser Gemeinde niemals angehört, wohl aber sein Kollege Karg, der dann auch 1852 dafür bestraft und aus dem Schuldienst entlassen wurde. Die Existenz dieser kirchlichen Oppositionsbewegung (Lichtfreunde/Freie Gemeinden wie auch Deutschkatholiken) dürfte aber so manchem Politiker neue Munition geliefert haben im Kampf gegen die Realschulen.

Als der Völkerfrühling im März 1848 anbrach, bekannte sich die Nordhäuser Realschule mit einem Freiheitsfest am 26. März demonstrativ zur neuen Ordnung.29 Die beiden Realschullehrer Dr. John und Ludwig Brandt waren in der Bürgerversammlung, in der sich regelmäßig die Demokraten trafen, führend tätig. Aber auch Kützing beteiligte sich sehr aktiv am politischen Leben. Am 18. April sprach er in der Bürgerversammlung zum Stand der Wahlvorbereitung in seinem Wahlbezirk IV. Es handelte sich um die Wahlen zur Berliner konstituierenden Versammlung und zum Paulskirchenparlament, für deren Gelingen sich Kützing im Altendorf-Viertel einsetzte.30 In einer Bürgerversammlung am 24. April schlug er vor, die Statuten der Bürgerversammlung als provisorisch anzunehmen, um Zeit zur Erledigung der so wichtigen Wahlfrage zu gewinnen.31 Ende April rief Kützing im von demokratischen Kreisen neu gegründeten Nordhäuser Intelligenz-Blatt zur Gründung eines Handwerker-Vereins auf.32 Am 1. Mai wurde er in seinem Bezirk (Wahlort: Altendorfer Kirche) als einer der vier Wahlmänner sowohl für das Berliner als auch für das Paulskirchenparlament gewählt (auf 500 Einwohner kam ein Wahlmann).33 Natürlich war er auch Mitglied der Nordhäuser Bürgerwehr, deren 3. Kompanie er angehörte. Das Exerzieren auf dem vor dem Sundhäuser Tor gelegenen Schinderrasen dürfte ihn wohl so manchen Schweißtropfen gekostet haben. Am 14. Oktober 1848 sprach Kützing im Gesellen-Bildungs- Verein über physikalische Geographie.34 Die wenigen Aktivitäten, die wir nachweisen können, lassen doch erkennen, dass er sich für eine Modernisierung der Gesellschaft in parlamentarisch-demokratischem Sinne einsetzte und dass ihm die selbständige Organisation der Handwerksgesellen und die Vermittlung einer gediegenen Bildung für diese Schicht besonders am Herzen lag.

Im Herbst 1848 konnte die Konterrevolution in Preußen den langersehnten Staatsstreich wagen. König Friedrich Wilhelm IV. jagte das vom Volk gewählte Parlament auseinander. Der Nordhäuser Abgeordnete Eduard Baltzer gehörte zu den linken Abgeordneten, die alle preußischen Staatsbürger aufriefen, dem König die Steuern zu verweigern. Auch in Nordhausen stellten sich, ähnlich wie in Erfurt, Langensalza oder Mühlhausen, viele Bürger auf die Seite des Berliner Parlaments. Die radikalen Demokraten in der Stadt, deren Einfluss jedoch gering war, wollten, dass sich 1. Nordhausen dem Steuerverweigerungsbeschluss anschließt, dass 2. die Einberufung der Landwehr, die die Truppen des Königs verstärken sollte, verhindert wird, 3. die 4. Jägerabteilung, die hier in Garnison lag, daran gehindert wird, die Stadt in Waffen zu verlassen, und versucht werden sollte, die Truppen auf die Seite der Demokratie zu ziehen. Vorräte an Waffen und Munition sollten in der Stadt bleiben und an Bürger, insbesondere die entschlossenen Maurer und Zimmerleute, ausgegeben werden. Nur auf diesem Hintergrund ist jener Brief zu verstehen, den Kützing am 26. November 1848 an Regierungsrat von Münchhausen schrieb. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Konterrevolution bereits klar die Oberhand gewonnen, und Anfang Dezember besetzten preußische Truppen auch die Stadt Nordhausen und verhafteten die führenden Demokraten. Mit weiteren Maßregelungen musste gerechnet werden. Kützing war Mitglied des sog. Sicherheits- Ausschusses gewesen, der nach dem Willen seiner Führer den Magistrat entmachten und mit Konsequenz alle oben genannten Maßnahmen in die Wege leiten sollte, hatte sich also in eine exponierte Position begeben, gehörte dem engeren Kreis der Haupträdelsführer an, um mit den Worten der preußischen Obrigkeit zu sprechen. Oberpräsident von Bonin in Magdeburg erklärte am 18. November alle Sicherheits-Ausschüsse für ungesetzlich. Konnte man Kützing vielleicht anklagen, ungesetzliche Handlungen, ja Hochverrat begangen zu haben? Der Brief lässt uns ahnen, unter welchem Druck Kützing stand und wie er sich zu rechtfertigen versuchte.

Mit den 50er Jahren begann für die Realschule wieder eine schwere Zeit; ihre Entwicklung wurde erneut gehemmt. Neue Anfeindungen waren abzuwehren, und eine strenge Schulaufsicht sollte die oft freiheitlich fühlenden Volks- und Realschullehrer knebeln. Kützings Kollege Karg war der Obrigkeit doppelt verdächtig, als Turnlehrer und als Mitglied der Freien Gemeinde. Er wurde aus dem Schuldienst entfernt, und man sprach öffentlich davon, er habe freiwillig um Entlassung aus dem Schuldienst nachgesucht. Kützing hat sich angepasst. Der Verzicht auf jedes gesellschaftspolitische Engagement dürfte ihm nicht allzu schwer gefallen sein angesichts des hohen Stellenwertes, den wissenschaftliche Forschungsarbeit für ihn besaß. In einer interessanten Abhandlung Die Naturwissenschaften in den Schulen als Beförderer des christlichen Humanismus (Nordhausen 1850) verteidigte er die Realschulen und die Notwendigkeit objektiver Naturbetrachtung. Seinem Bedürfnis nach Geselligkeit dürfte am ehesten noch die Freimaurer-Loge entsprochen haben. Er war am 30. Januar 1839 in die Loge aufgenommen worden. 1846 bis 1851 fungierte er als stellvertretender Sekretär. 1859 hat er die Loge gedeckt, d.h. seine Mitgliedschaft ruhte und wurde am 18. November 1868 restituiert. Er hat jedoch in der Loge kein Amt mehr gehabt. In seinem Kollegium gehörten auch Direktor Dr. Fischer, Ludwig Brandt, Dr. Zimmermann und Dr. John der Loge an, letzterer der Loge in Halle; Dr. Carl Fischer stand sogar von 1851 bis 1854 der Loge als Meister vor.35

Im Oktober 1852 fand hier eine erste Gewerbeausstellung statt. Am 3. Oktober eröffnete Professor Kützing die Ausstellung im Gasthaus von Lux Zur Hoffnung, in der 14 Tage lang Erzeugnisse des heimischen Gewerbes, des Feld- und Gartenbaus sowie der Forstwirtschaft gezeigt wurden.36

Kützing war auch Mitbegründer des Wissenschaftlichen Vereins zu Nordhausen. Er unterzeichnete ein Rundschreiben vom 12. November 1854, das zur Gründung einer Literarischen Gesellschaft aufrief, und wurde am 20. Dezember 1854 in den dreiköpfigen provisorischen Vorstand gewählt. Aus einem heute nicht mehr klar ersichtlichen Grund erklärten Kützing und zwei weitere Mitglieder am 3. Januar 1855 ihren Austritt.37 Am 4. Januar wurde ein anthropologisch-physiologischer Vortrag Über die Entstehung des Menschen gehalten. Kützing hielt sich fern. Fürchtete er im Verein Tendenzen, die seinem Anliegen, Religion und Naturwissenschaften zu versöhnen, zuwiderliefen? War ihm die Mitgliedschaft zu riskant? Eine führende Rolle spielte in den Anfangsjahren des Vereins der von der preußischen Regierung gemaßregelte Dr. med. Riecke38. Kützing war dann aber Mitbegründer des Naturwissenschaftlichen Vereins. Dieser wurde am 11. November 1876 gegründet. Dem ersten Vorstand gehörten Adolf Vocke und Carl Angelrodt an. Diese neue Generation tüchtiger Botaniker gab im Auftrag des Vereins nach zehnjähriger Arbeit die Flora von Nordhausen und der weiteren Umgegend heraus. Leider liegen über den Verein nur wenige Aufzeichnungen vor, so dass zur Rolle Kützings, der ja zum Zeitpunkt der Gründung bereits auf das 70. Lebensjahr zuschritt, nichts Näheres ausgesagt werden kann. Er ist jedenfalls erstes Ehrenmitglied des Vereins gewesen.39 Im Männer-Bildungsverein, dem vor allem Handwerksgesellen angehörten, hat er nicht ein einziges Mal gesprochen, obwohl er sich doch 1848 ausdrücklich für die Weiterbildung der Handwerksgesellen eingesetzt hatte. Doch der Verein wurde von stadtbekannten Liberalen geführt, z. B. von Eduard Baltzer, später auch von dem bekannten Albert Traeger. Diese Kräfte der Fortschrittspartei und des Freisinns waren vor allem gemeint, wenn es 1855 in einem regierungsamtlichen Bericht über die Nordhäuser hieß: Die politische Gesinnung der hiesigen Einwohnerschaft ist keineswegs befriedigend: ein vertrauensvolles Mitgehen mit der Politik Sr. Majestät des Königs findet sich hier nur sehr vereinzelt, und es berührt oft schmerzlich, daß so wenig vaterländisches

Selbstbewußtsein hier gefunden wird.40Auch viele Lehrer hätten 1861 die Fortschrittspartei gewählt, urteilte der Magistrat.41 Kützing hielt sich also bewusst von diesen Kreisen fern. Seine Mitbürger durften mit Recht auf ihn stolz sein. Ehrungen stellten sich ein; sein Name wurde über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt. Man stellte ihn schon Anfang der achtziger Jahre in eine Reihe mit den besten Nordhäuser Botanikern. Vom 17. bis 19. Mai 1880 tagte in Nordhausen die 44. Generalversammlung des Naturwissenschaftlichen Vereins für Sachsen und Thüringen. Am 19. Mai hielt Realschuloberlehrer Dr. Krenzlin vor den Gästen einen Vortrag über die drei hervorragenden Nordhäuser Botaniker Thal, Wallroth und Kützing. Durch Allerhöchste Ordre vom 23. Februar 1881 wurde Kützing die Annahme und Anlegung des ihm vom König von Portugal verliehenen Ritterkreuzes des Christus-Ordens gestattet. Der Orden war ihm 1880 verliehen worden. Am 30. Oktober 1881 wurde er in der zweiten Hauptversammlung des Botanischen Vereins Irmischia in Sondershausen zum Ehrenmitglied ernannt. Am 11. September 1881 hatte er vor den Mitgliedern dieses Vereins über die Pflanzengattung der Wassersterne gesprochen.

Der Verlust von drei Kindern in den Jahren 1861 und 1862 erschütterte die Gesundheit seiner Frau und überschattete das Familienleben, doch in den folgenden Jahren trat wieder eine Besserung ein, so dass Kützing Ende 1867 an seine älteste Schwester schreiben konnte: Wir unsern Theils sind seither, – abgesehen von Carls schwerem Augenleiden – ziemlich munter gewesen. Gretchen, die auch immer kränkelte, namentlich immer zur Bleichsucht neigte, hat sich im letzten Jahr – unberufen – ganz gut u. kräftig entwickelt. Die steten Leiden im Hause u. die tiefe u. traurige Niedergeschlagenheit meiner Frau wirkten leider auch sehr niederschlagend auf das Gemüth Gretchens, bei der daher keine Heiterkeit der Seele Platz finden konnte. Ich ließ sie daher im Herbst vorigen Jahres die Tanzstunde mit besuchen, und obschon wir sicher besorgt waren, ob ihr diese auch gut bekommen würde, zeigte sich doch bald, daß die Aufheiterung des Gemüths u. die Bewegung ihr recht wohl bekamen. Da nun meine Frau wegen ihrer großen Nervenschwäche gar nicht mehr im Stande ist, eine größere Gesellschaft oder gar einen Ball zu besuchen, so habe ich es selbst übernommen, Gretchen in unsere höhere Gesellschaft einzuführen, u. es ist alles ganz prächtig gegangen. Sie besucht die Sing-Academie, das Museum u. die Bälle u. Soireen der Erholung u. ist überall eine gern gesehene Erscheinung u. gesuchte Tänzerin, welche von andern Mädchen vielfach beneidet wird. Diese Veränderungen haben aber aufs ganze Haus auch wohlthätig zurück gewirkt, so daß selbst meine Frau fast ihre ganze frühere Heiterkeit wieder erlangt hat. Ich habe es freilich am schlimmsten dabei, denn ich muß immer mit bis zuletzt aushalten, - aber da es dem Kinde so gut bekommt, so bringe ich gern das kleine Opfer.42 So sehen wir denn unseren Kützing vor uns als einen liebevollen, treu sorgenden Familienvater, der schmunzelnd und mit sichtlichem Stolz auf sein Töchterchen blickt, vielleicht in einer Ecke des Saales der Erholung mit einem Kollegen fachsimpelnd.

Fast 60 Jahre lebte Kützing in Nordhausen. Er kam 1835 in ein noch ziemlich verschlafenes Ackerbürger-Städtchen. Am 1. Oktober 1883 trat er nach 48-jährigem Wirken an der Realschule im Alter von 76 Jahren in den Ruhestand. Einige Zeit zuvor hatte die Realschule die Bezeichnung Real-Gymnasium erhalten und war nun völlig dem alten humanistischen Gymnasium gleichgestellt.43 Von Anfang an hatte Kützing diese Schule mit gestaltet und viel zu ihrem wachsenden Ansehen beigetragen. Die Schüler brachten mir am Schluß des Semesters einen großartigen Fackelzug und gaben dann einen großen Kommers, wozu auch das ganze Lehrer-Kollegium geladen war. Einige Tage darauf gaben mir die Kollegen in der Hoffnung ein Abschiedsessen.44 Über den ungewöhnlich großartigen Fackelzug45, mit dem seine Schüler am 28. September 1883 ihren scheidenden Lehrer ehrten, berichtete ausführlich der Nordhäuser Courier: Der Fackelzug führte vom Gasthaus Zu den drei Linden durch die Neustadt, die Rautenstraße, Töpferstraße und die Große Schützenstraße nach dem Petersberg, wo er, von 240 Fackeln und 60 Lampions festlich illuminiert und von zwei Musikkapellen begleitet, vor Kützings Wohnhaus haltmachte. Eine Abordnung sprach diesem ihren Dank für sein segensreiches Wirken als Lehrer und Erzieher der Jugend aus. Zu späterer Stunde versammelten sich dann die Schüler der oberen Klassen im Riesenhaus. Auch viele alte Schüler des verehrten Lehrers waren gegenwärtig, um ihm dadurch ihre Achtung und Liebe zu bezeugen. Der Saal war vollständig gefüllt und der Commers verlief in schönster Ordnung, präsidert von dem Oberprimaner Husung. Nach einem Salamander auf den scheidenden Ehrengast nahm dieser das Wort zu einer höchst launigen Rede. Er äußerte sich ungefähr folgendermaßen: Liebe Schüler, verehrte Festgenossen! Sie haben soeben einen Salamander auf mich gerieben und ich danke Ihnen von ganzem Herzen dafür. Als ich noch jung war, da kannten wir wohl auch einen Salamander, Salamander maculata und andere, allein es ist doch ein großer Unterschied zwischen diesem und jenem. Der meine ist ein Thier, der Ihre nicht; der meine ist ein Femininum, der Ihre ein Masculinum; Ihr Salamander ist akademisch gebildet und kennt Exercitien, das kann ich von meinem nicht behaupten. Den alten Salamander kenne ich genau, mit dem neuen bin ich nicht so recht bekannt. So werden Sie mir wohl erlauben, daß ich nach meiner alten Art Ihnen für die erwiesene Ehre danke, indem ich auf Ihr Aller Wohl trinke.46

Am 1. März 1885 verstarb ihm die Gattin. Ich war nun allein und fühlte mich auch sehr vereinsamt. Deshalb nahm ich Ostern 1886 meinen ältesten Enkel Fritz47 aus Worbis zu mir und ließ ihn das Realgymnasium besuchen. Später nahm er auch seinen zweiten Enkel Wilhelm in sein Haus auf. Seinen 80. Geburtstag verbrachte er, um allen öffentlichen Ehrungen zu entgehen, bei der Familie seiner Tochter in Herrmannsacker. Zu diesem Ehrentag wurde ihm eine von führenden deutschen Naturforschern gestiftete, in der kaiserlichen Münze zu Wien modellierte und geprägte goldene Medaille als Ehrengabe übersandt. Sie zeigt auf der Vorderseite das Bild Kützings und trägt auf der Rückseite jene bekannte Inschrift, welche die Bedeutung Kützings für die Naturwissenschaft hervorhebt. Der Naturwissenschaftliche Verein ernannte ihn zu seinem Ehrenpräsidenten. Der Landwirtschaftliche Verein in der Goldenen Aue überreichte dem Jubilar als seinem ältesten Ehrenmitglied eine künstlerisch gestaltete Glückwunschadresse. Aus Berlin traf eine Glückwunsch- und Anerkennungsadresse ein, die von 40 der bedeutendsten Naturforscher Deutschlands unterzeichnet war. Auch das Landwirtschaftliche Institut in Halle und der Nordhäuser Konservative Verein sandten Glückwunschadressen.

Als Kützing am 9. September 1893 im Alter von 86 Jahren starb, war Nordhausen eine industrielle Mittelstadt, ein aufstrebendes Gemeinwesen. Er hatte die Industrialisierung erlebt, die ersten Streiks der Arbeiterschaft, die Gründerjahre, den Gründerkrach. Aus der Politik hielt er sich heraus. Man belohnte ihn mit dem obligatorischen Roten Adlerorden 4. Klasse.48 Aber der dürfte ihm ziemlich gleichgültig gewesen sein. Für ihn zählte die wissenschaftliche Anerkennung, die ihm zuteil wurde.

Zu Ostern 1848 bestand Hermann Arnold (1831–1909), Sohn eines Nordhäuser Brennereibesitzers, an der Realschule die Reifeprüfung mit dem Prädikat gut. Er studierte Chemie und wurde später ein Förderer der Kunst und Wissenschaft und ein Wohltäter der Stadt. In tiefer Verehrung für seinen einstigen Lehrer stiftete er ihm am Gehege im Jahre 190649 ein Denkmal, das sich auch heute noch dort befindet. Als die Stadt Kützings 100. Geburtstag beging, präsentierte der Naturwissenschaftliche Verein schon im Frühjahr auf Veranlassung von Prof. Dr. Wilhelm Schumann, dem Nachfolger Kützings am Realgymnasium, im Museum eine Ausstellung über hervorragende Leistungen heimischer Naturforscher, in der auch sechs eigenhändige Briefe Alexander von Humboldts an Kützing gezeigt wurden.50 Eine weitere Ehrung wurde ihm im Jahr der Jahrtausendfeier der Stadt zuteil. Auf der Jahrestagung des Thüringischen Botanischen Vereins Anfang Oktober 1927 weihte Kurt Wein, damals Vorsitzender des Naturwissenschaftlichen Vereins, an Kützings Sterbehaus auf dem Petersberg eine Gedenktafel. Auch Friedrich Wilhelm Wallroth ist an diesem Tag mit einer Tafel geehrt worden.

Kützing, nach dem ebenso wie nach Arnold in Nordhausen eine Straße (der östliche Teil der Gartenstraße) benannt wurde, hat als Mensch und Forscher bei vielen seiner Mitbürger einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen.

 

Fußnoten

1 Ein gewiss sehr treffendes Charakterbild Kützings hat sein Nachfolger am Realgymnasium gezeichnet: Wilhelm Schumann, Friedrich Traug. Kützing. Ein Gedenkblatt zur hundertsten Wiederkehr seines Geburtstages (8. Dezember 1807). Königl. Realgymnasium zu Nordhausen, Nordhausen 1907, S. 28 f. Auch Stadtarchivar R. H. Müller hat einige ausgezeichnete Arbeiten über Kützing vorgelegt. Vgl. Der Nordhäuser Roland, 1958, H. 1, S. 6–10 u. a. Vorliegender Beitrag soll diese fortführen und ergänzen.

2 Friedrich Traugott Kützing 1807–1893. Aufzeichnungen und Erinnerungen. Hrsg. v. R. H. Walther Müller u. Rudolph Zaunick, Leipzig 1960, S. 231

3 Julius Becker, Die Logenmeister der Johannisloge „Zur gekrönten Unschuld“ in Nordhausen, Nordhausen 1924, S. 59

4 Wie Anm. 2, S. 276; ferner: R. H. Walther Müller, Friedrich Traugott Kützing zum Gedächtnis seines 150. Geburtstages, in: Der Nordhäuser Roland. Monatliche Mitteilungen, Nordhausen 1958, S. 6

5 Kützing notierte in eine Familienchronik: Am 24. Decbr. 1835 verlobte ich mich mit meiner Marie. Die Verlobung geschah bei den Doctor Tuchs in Aschersleben u. in Gegenwart von Wöhlermanns in Egeln, Meisens in Alsleben u. Doctor mit seiner Frau. Von Mariechens Eltern war bloß die Mutter gegenwärtig, die uns ihren Segen ertheilte (Hervorheb. im Orig.). Die kleine Familienchronik mit knappen Aufzeichnungen des Vaters von 1763 bis 1825 und des Sohnes Friedrich Traugott von 1835 bis 1863 ist dem Nordhäuser Stadtarchiv 1998 in Abschrift von Klaus Gubener, einem Kützing-Nachfahren, zur Verfügung gestellt worden.

6 In der erwähnten kurzen Chronik wird der 1. November 1835 genannt.

7 Matrikelbuch der Nordhäuser Loge, Stadtarchiv Nordhausen, X 1102, Bl. 24 f. Seine Mitgliedschaft erlosch, da er, wie es hieß, seinen Verbindlichkeiten nicht nachkam. F. T. Kützing schreibt über ihn ausführlich in seinen Aufzeichnungen und Erinnerungen (wie Anm. 2), S. 32 f.

8 Wie Anm. 2, S. 231

9 Vgl. Vor sechzig Jahren. Nordhäuser Erinnerungen, erläutert und erweitert von Hermann Heineck. Sammlung von Zeitungsausschnitten im Stadtarchiv Nordhausen.

10 Vgl. Peter Kuhlbrodt, Wie preußisches Militär Nordhäuser Bürger erschoß. Nordhäuser Echo (Harz-Kurier) v. 5./6. 6. 1991 und 12. /13. 6. 1991. Ders., Grenzaufseher mißhandelte den Nordhäuser Bürgermeister. Nordhäuser Echo (Harz-Kurier) v. 19. /20. 6. 1991. Über größere Zusammenhänge der Geschichte Nordhausens im 19. Jahrhundert informiert der Aufsatz von Peter Kuhlbrodt, Demokratische Traditionen in Nordhausen in der Zeit der Zugehörigkeit der Stadt zu Preußen. In: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte, Bd. 56 (2002), S. 319–346.

11 Wie Anm. 2, S. 231 f.

12 Stadtarchiv Nordhausen, DA II 64, unpag.

13 Ebenda

14 Konferenz-Protokoll der Stadtverordneten-Versammlung vom 23. April 1838, Stadtarchiv Nordhausen, DA II 72, Bl. 47 ff.

15 Eine Abschrift des für die Bewerbung geschriebenen, aber undatierten Lebenslaufes verdankt das Stadtarchiv Hern Klaus Gubener.

16 Wie Anm. 2, S. 232. Das Haus stand damals am Stadtrand. Vor seiner Tür floss der Mühlgraben, und zur Gartenseite hin, wo die spätere Hohensteinerstraße zur Grimmelallee führt, war alles noch unbebautes Feld und Gartenland. Dort befand sich auch ein ehemals viel größerer Teich.

17 Adressbuch von Nordhausen für 1848, S. 90

18 Wann Kützing das Haus auf dem Petersberg genau bezogen hat, war bisher nicht bekannt, geht aber aus der kurzen Chronik eindeutig hervor (wie Anm. 5).

19 Nr. 1–4 im Kirchenbuch der Altendorfer Kirchengemeinde Beatae Mariae Virginis in valle

20 Kirchenbuch von St. Blasii

21 Kirchenbuch von St. Petri sowie für alle Kinder die Familienchronik (wie Anm. 5)

22 Erinnerungen aus der Familie Rudolph Schulze, Stadtarchiv Nordhausen

23 Im Lokalblatt wurde am 4. Juli 1836 folgende Annonce veröffentlicht: Nachricht Die 6te Versammlung des naturwissenschaftlichen Vereins des Harzes wird dieses Jahr den 27. July in Nordhausen gehalten. Diejenigen, welche an derselben Theil zu nehmen beabsichtigen, werden ersucht, dieses 10 Tage vorher dem Reallehrer Herrn Kützing in Nordhausen oder dem unterzeichneten Geschäftsführer gefälligst anzuzeigen. Apotheker E. G. Hornung in Aschersleben (Nordhäusisches wöchentliches Nachrichts-Blatt, Nr. 27 v. 4. Juli 1836)

24 Vgl. Nordhäusisches wöchentliches Nachrichts-Blatt, Nr. 47 v. 19. November 1838.

25 Vgl. Die goldene Aue. Volksblatt für Landwirthschaft und Viehzucht, Nordhausen, 4. Jg., Nr. 6, Oktober 1864, Beilage.

26 Nordhäusisches wöchentliches Nachrichts-Blatt, Nr. 37 v. 15. September 1845, S. 331–332; in der Bibliographie der Veröffentlichungen Kützings (siehe Anm. 2, S. 263–270) unter 37a

27 Hans Silberborth, Carl Christian Friedrich Fischer. Ein Lebensbild. In: Festschrift zur Jahrhundertfeier des Staatl. Realgymnasiums zu Nordhausen 1835–1935, Nordhausen 1935, S. 27

28 Der König verfügte eigenhändig: Die Frechheit der Feinde des Evangelii wird nachgerade zu arg. Es muß und es soll aufs w ü r d i g s t e und aller-entschiedenste gegen sie eingeschritten werden, sowohl in Königsberg, als in Halle, Magdeburg, Nordhausen, Berlin oder wo immer der Abfall von Gott vorbereitet wird, um bald vom König abfallen zu können. Zitiert nach Heinrich von Treitschke, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert, 5. Teil, Leipzig 1927, S. 349. Alle Hervorhebungen wie dort.

29 Schulnachrichten von Ostern 1848 bis Ostern 1849, Nordhausen gedruckt bei Fr. Thiele, S. 9 f.

30 Nordhäuser Intelligenz-Blatt Nr. 15 v. 4. Mai 1848, S. 92, Stadtarchiv Nordhausen

31 Ebenda, Nr. 13 v. 29. April 1848, S. 80

32 Ebenda, Nr. 16 v. 6. Mai 1848, S. 97

33 Ebenda, Nr. 14 v. 2. Mai 1848, S. 86

34 Ebenda, Nr. 84 v. 14. Oktober 1848, S. 545

35 Im Matrikelbuch der St. Johannisloge zur gekrönten Unschuld im Stadtarchiv, Bl. 34 r hat Kützing die Nr. 242.

36 Chronik der Stadt Nordhausen 1802 bis 1989, hrsg. vom Stadtarchiv Nordhausen, Horb am neckar 2003, S. 93

37 Protokolle des Wissenschaftlichen Vereins, Stadtarchiv Nordhausen. Der Wissenschaftliche Verein konstituierte sich endgültig am 17. Januar 1855.

38 Dr. med. Carl Friedrich Riecke (1802–1881), Bataillonsarzt, wegen seiner demokratischen Gesinnung aus dem Heer in Unehren ausgestoßen, ließ sich Ende 1852 in Nordhausen nieder, wo, wie Riecke urteilte, nur wenige Exemplare der Kreuzzeitung gelesen wurden, was für ihn eine Empfehlung war. Er spielte im Wissenschaftlichen Verein eine führende Rolle, bevor er später nach Weimar verzog.

39 Vgl. Max Neitzsch, Zum 50jährigen Jubiläum des Naturwissenschaftlichen Vereins zu Nordhausen. In: Allgemeine Zeitung für Nordhausen, Nr. 265 v. 11. November 1926; ferner: Karl Kellner, Die floristische Erforschung der Südharz-Landschaft um Nordhausen, 3. Teil, in: Beiträge zur Heimatkunde aus Stadt und Kreis Nordhausen, Heft 5, Nordhausen 1980, S. 29.

40 Wie Anm. 36, S. 95

41 Ebenda, S. 106

42 Brief vom 24. Dezember 1867 an Caroline Magdalene Diethe, geb. Kützing (1801–1877), in Abschrift dem Stadtarchiv von Klaus Gubener überlassen.

43 Vgl. Carl Riemenschneider, Das Königliche Realgymnasium zu Nordhausen. Festschrift zum 75jährigen Jubiläum 1835 – 1910, Nordhausen o. J., S. 9.

44 Wie Anm. 2, S. 258

45 Wilhelm Schumann, wie Anm. 1, S. 23

46 Nordhäuser Courier, Nr. 228 v. 29. September 1883

47 Friedrich Wilhelm, Sohn Friedrich Georg Kützings, geb. am 21. August 1875 in Nordhausen, gestorben am 18. September 1947 in Genthin

48 Beigesetzt wurde Kützing auf dem Alten Friedhof an der Leimbacher Straße. Von der Grabstelle ist leider nichts mehr erhalten.

49 In der Stadtverordneten-Versammlung am 11. Juni 1906 wurde beschlossen, am Eingang zum Gehege ein Kützing-Denkmal zu errichten. Die Anregung ging von Hermann Arnold aus, der das Denkmal bis Oktober 1906 auf seine Kosten erbauen ließ.

50 Vgl. Nordhäuser Allgemeine Zeitung, 12. Jg., Nr. 125 v. 31. Mai und Beilage zu Nr. 130 v. 6. Juni 1907

Anhang

Brief Kützings vom 26. November 1848 an Regierungsrat v. Münchhausen
[v. Münchhausen begleitete als Zivilkommissar eine Militärkolonne unter dem Befehl des Generals v. Cölln, die in diesen Tagen Nordhausen besetzte, und veranlasste die Verhaftung der führenden Männer der demokratischen Bewegung in der Stadt. Die Rechtschreibung und alle Hervorhebungen stimmen mit dem Original überein.]

 

Hochgeehrter Herr Regierungsrath!

Vor einigen Tagen ist, wie ich gehört habe, Herr Reg. R. Volk aus Erfurt hier gewesen, um über die hier in letzter Zeit stattgefundenen Bewegungen Erkundigungen einzuziehen. Ich bin wider meinen Willen dabei mit thätig gewesen, weil ich, wie Sie wissen, es vorziehe, meinen wissenschaftlichen Beschäftigungen nachzugehen, als politische Demonstrationen zu machen. Aber es kommen Fälle vor, wo man nicht ausweichen kann, wenn man die Leitung von Bewegungen nicht in schlechte Hände kommen lassen will. Ich halte es für nöthig, Sie von dem in Kenntnis zu setzen, wie weit ich bei der hiesigen Bewegung, [als Fußnote von Kützing ergänzt: besser Beruhigung] thätig gewesen bin.

Am Mittwoch, d. 15. Novbr., um 10 Uhr, als ich eben im Begriff war, meinen Unterricht in A. IV. b. zu beginnen, trat der Director Fischer in die Classe mit der Meldung, es seien durch den Ausrufer alle Bürger- und Landwehrmänner so wie diejenigen, denen das Wohl des Vaterlandes am Herzen liege, zu einer Versammlung in den Lux`schen Saal beschieden worden. Weil fast sämmtliche Lehrer der Realschule der Bürgerwehr angehören, so wurden die Schüler entlassen und wir begaben uns mit dem Director zu dem genannten Locale, das bald mit einer großen u. sehr aufgeregten Menschenmenge überfüllt war. Die ersten Verhandlungen begannen unter einem solchen Tumult, daß ich befürchtete, es werde zu ernstlichen Conflicten kommen, zumal als sich herausstellte, daß die Einladung zu dieser Versammlung weder von Seiten des Magistrates noch von Seiten des Bürgerwehr- Commandos ausgegangen war. Ich verließ unter solchen Umständen die Versammlung u. kehrte erst um 11 ½ Uhr, als ich hörte, daß jetzt durch die Anwesenheit des Bürgermeisters u. des Majors der Bürgerwehr Ruhe in dieselbe gekommen sei, zu ihr zurück. Da ich jedoch nur in einem Nebenzimmer des Saales für mich Platz fand, so war ich nicht imstande von den Verhandlungen irgend etwas zu verstehen und ich begab mich deshalb um 12 Uhr (Mittags) abermals nach Hause. Hier angekommen fand ich eine Einladung vom Stadtrath Grimm vor, welcher mich, da er wegen Krankheit das Zimmer hüten mußte, um 2 Uhr zu sich beschieden hatte, um mich mit einem Candidaten bekannt zu machen, der sich zu der Rectorstelle der hiesigen Bürgerschule melden wolle. Als ich nach vier Uhr auf dem Nachhausewege begriffen war, kam mir ein Bote entgegen, welcher mir mittheilte, daß er von dem Hauptmann der 3. Compagnie der Bürgerwehr abgesandt sei, um mir anzuzeigen, daß mich die Compagnie zum Vertrauensmann gewählt habe, u. daß ich von derselben in ihrem Versammlungslocale erwartet werde. Ich gehöre dieser Compagnie als Gemeiner an und habe seit dem Bestehen der Bürgerwehr an allen Übungen u. Verrichtungen immer pünktlichen u. thätigen Anteil genommen, auch mich stets bemüht, Ordnung, Ruhe u. ein anständiges Wesen in derselben zur Geltung zu bringen. Diesem Umstande [wiederum als Fußnote hinzugefügt: vielleicht aber auch weil in der Compagnie nur wenig intelligente Mitglieder sind ] allein konnte ich nur zuschreiben, daß die Wahl auf mich gefallen war. Von dem Hauptmann der Compagnie, den ich um Instruction fragte, erhielt ich zur Antwort, daß er diese selbst nicht kenne, er habe die Wahl im Auftrage des Commandeurs geleitet, theile mir aber mit, daß ich mich um 5 Uhr auf dem Rathhause einzufinden habe. Ich ging nach Hause, um zu überlegen, was ich thun solle. Ich verhehlte mir nicht, daß die Annahme der Wahl für mich unangenehme Folgen haben könne; indem ich mir aber auch sagen mußte, daß ich durch die Annahme Gelegenheit erhalte etwaigen anarchischen Bestrebungen entgegen zu treten, hielt ich es für Pflicht, die Wahl nicht auszuschlagen. In den wenigen Versammlungen der Vertrauensmänner wurde von mir - u. wie sich aus der Abstimmung ergab, auch von den übrigen - das Princip festgehalten, den anarchischen Bestrebungen mit Klugheit u. Besonnenheit entgegen zu treten u. die Behörden in Aufrechthaltung der Ordnung u. Ruhe zu unterstützen. Noch in derselben Nacht ließen wir eine Proclamation an die hiesigen Bürger drucken, in welcher wir die sehr aufgeregten Gemüther zu beruhigen u. die Gerüchte von der Ausfuhr brauchbarer Waffen als unbegründet zu widerlegen suchten. Wir warnten zugleich vor ungesetzlichen Handlungen u. sprachen die Absicht aus, (in diesem Sinne) auf die Umgegend zu wirken, um so eine geschlossene Macht (gegen anarchische Bestrebungen) zu schaffen.

Am anderen Tage (16 Novbr.) um 10 Uhr, Morgens, wurde ich abermals u. schleunigst zu einer Berathung der Vertrauensmänner eingeladen. Es handelte sich um den Abmarsch der 2. Jägercompagnie, welchen eine Anzahl Bürger nicht zugeben wollte. Das Publicum stand in Gruppen beisammen und erwartete, wie ich auf dem Wege zum Rathhause vernahm, daß die Vertrauensmänner an die Bürgerwehr das Ansinnen stellen werden, den Abmarsch der Jäger zu verhindern. Der Hauptmann Velthusen, welcher die Jäger führte, war von dem Bürgermeister u. dem Commandeur der Bürgerwehr, Quelle, (beide führten den Vorsitz bei den Berathungen der Vertrauensmänner) eingeladen worden, auf das Rathhaus zu kommen. Er erschien, u. es wurden von Seiten des Magistrats u. der Vertrauensmänner gütliche Versuche gemacht, ihn zu bewegen, nicht auszuziehen, sondern im Orte zu bleiben, weil die aufgeregte Stimmung eines Theiles der Bürgerschaft einen Conflict mit den Truppen befürchten lasse; auch wurde noch der Grund geltend gemacht, daß die Stadt wohl selbst der Truppen zur Aufrechterhaltung der Ruhe bedürfen möchte. Hauptm. Velthusen ging indessen nicht auf diese Vorstellungen ein und so wurde dann von dem Bürgermeister der Antrag an die Versammlung gestellt, daß dieselbe den Abmarsch der Jäger nicht durch activen Widerstand hindern solle. Ich unterstützte diesen Antrag u. die übrigen anwesenden Vertrauensmänner stimmten demselben bei. Der Commandeur der Bürgerwehr, Quelle, frug hierauf die Versammlung, ob er zur Verhütung von Excessen u. zum Schutz der Jäger einige Compagnien Bürgerwehr zusammenrufen lassen wolle, wogegen nichts eingewendet wurde. Noch wurden drei Vertrauensmänner deputiert, welche vom Hauptmann Velthusen die zurückbleibenden Effecten auf der Wache in Empfang nehmen sollten.

Die Bürgerwehr erschien schnell auf ihren Sammelplätzen, viele aber - wie sich herausstellte - in der Meinung, den Abmarsch der Jäger zu verhindern. Als diesen daher der wahre Zweck ihrer Zusammenkunft bekannt wurde, ging ein Theil wieder nach Hause. Ich ging zur 3. Compagnie, welche ebenfalls zum Schutz der Jäger beordert war, um durch meinen Einfluß die Wehrmänner zu beruhigen u. ihnen die wohlgemeinte Absicht der Vertrauensmänner auseinander zu setzen, was mir auch gelang. Die 3. Compagnie war zahlreich vertreten. Die Jäger marschierten ungehindert aus.

Bei meiner Rückkehr aufs Rathhaus wurde ich, nebst 2 anderen Vertrauensmännern, beauftragt, zwei Munitionswagen der Jäger, welche um 1 Uhr vom Pulverhäuschen abgeholt werden sollten, bis ans Ende des Stadtgebietes zu begleiten. Bürgerwehr sollte deshalb hierzu nicht benutzt werden, weil man Aufsehen verhüten wollte. Ich war pünktlich an meinem Platze u. setzte die anwesende Bürgerwehrwache von meinem Auftrage in Kenntnis. Der erste Wagen war aber kaum 100 Schritte weit gefahren, als er von mehreren Personen angehalten wurde, welche ihn zurückgebracht haben wollten. Meine Ansprache an diese Leute den Wagen nicht aufzuhalten, wurde nicht beachtet, u. so blieb mir nichts weiter übrig, als in Begleitung eines zweiten Vertrauensmannes den Vorfall dem Bürgermeister anzuzeigen. Auch dem Commandeur Quelle wurde hiervon Meldung gemacht, u. diesem ist es nachher durch seine Energie gelungen, dahin zu wirken, daß der Abfahrt der Munitionswagen weiter kein Hindernis entgegengestellt wurde.

Aus den vielen Redensarten, die ich aber aus den aufgeregten Massen gegen das Benehmen der Vertrauensmänner selbst mit anhören mußte, wurde mir indessen klar, daß man von uns die Organisation eines activen Widerstandes gegen den Abmarsch der Jäger (u. vielleicht noch mehr) erwartet hatte. Dazu wollte ich u. dazu konnte ich mich nicht gebrauchen lassen. Ich schrieb daher noch an demselben Tage an den Bürgermeister ein Billett, in welchem ich ihm von meinem Austritt aus der Commission der Vertrauensmänner Nachricht gab. Ich habe daher keiner Sitzung mehr beigewohnt. Die für denselben Abend angekündigten Katzenmusiken, womit man die Vertrauensmänner zu behelligen gedachte, unterblieben, - vielleicht deshalb, weil es sehr anhaltend regnete u. starke Patrouillen in den Straßen gingen. Übrigens habe ich bemerkt, daß ich durch mein Verfahren bei meiner Compagnie keineswegs in Mißcredit gekommen bin, sondern die meisten mit meinem Verfahren einverstanden sind. Die meiste Aufregung schien mir in der Oberstadt zu herrschen. Am Freitagabend (d. 17 Novbr.) haben auch die übrigen Vertrauensmänner u. Stellvertreter ihr Mandat zurückgegeben. Die Commission der Vertrauensmänner war somit aufgelöst. Bei so kurzer Wirksamkeit der Vertrauensmänner konnte übrigens von einer Einwirkung auf die Umgegend Nordhausens von unserer Seite u. in unserem Sinne nicht die Rede sein. Die Mittheilung dieser Thatsachen glaubte ich mir u. Ihnen schuldig zu sein.

Ihr ergebenster Diener Kützing
Nordhausen, d. 26. November 1848.

[Thüringisches Staatsarchiv Gotha, Reg. Erfurt, vl. Nr. 397, Bl. 172-175]

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