Die Missivenbücher des Rates der Städte Erfurt und Mühlhausen -
wichtige Quellen zur Geschichte der Reichsstadt Nordhausen zu
einem Forschungsvorhaben der Friedrich-Christian-Lesser-Stiftung
Dr. Peter Kuhlbrodt, Strohmühlenweg 18
99734 Nordhausen
Nicht nur beim Vatikan und am Hof des Kaisers und deutschen Königs, sondern auch an den Höfen der weltlichen und geistlichen Fürsten sowie in den zur politischen Selbständigkeit gelangenden Reichsstädten, aber überhaupt in allen bedeutenderen Städten war der Aufbau einer schriftlichen Verwaltung für das Urkundenwesen, die Korrespondenz und Aktenführung notwendig. Letztere schufen sich das Amt des Stadtschreibers, der bald zur Seele der städtischen Verwaltung wurde.
Neben Kopialbüchern mit Abschriften der Privilegien, die unserer Stadt verliehen wurden, und sonstiger urkundlicher Rechtstitel (siehe z. B. das Rauhe Buch im Nordhäuser Stadtarchiv), neben Fehde- und Sühnebüchern, Protokollbüchern des Rates und anderen spielten auch Register der einlaufenden bzw. ausgehenden Korrespondenz eine wichtige Rolle. Es entstanden sog. Missivenbücher, in denen nicht nur Ausgänge, sondern auch Eingänge verzeichnet werden konnten, also die Korrespondenz in beiden Richtungen. Diese Protocolla missivarum städtischer, aber auch staatlicher und geistlicher Provenienz hielten entweder den vollen Wortlaut fest oder übermittelten nur ein Regest oder eine journalartige Notiz (Registereintrag). In städtischen Kanzleiregistraturen sind die Missivenbücher als Quellen für die auswärtige Korrespondenz von besonderer Wichtigkeit.
Im Gegensatz zu den Urkunden wurde dem Korrespondenzgut im allgemeinen weniger Bedeutung beigemessen. So ist derartiges serielles Schriftgut im Nordhäuser Stadtarchiv auch schon vor den Kriegsverlusten von 1945 nicht mehr vorhanden gewesen. Um so bedeutsamer ist der Umstand einzuschätzen, dass sich in Nordhausens Partnerstädten im Thüringer Städtebund, Erfurt und Mühlhausen, derartige Missivenbücher erhalten haben, ja dass Mühlhausen einen einzigartigen Bestand an Abschriften der von der städtischen Kanzlei ausgegangenen Briefe besitzt. Beide sollen im Folgenden als wichtige Quelle zur Geschichte der Reichsstadt Nordhausen vorgestellt werden.
Die Korrespondenzbücher des Rates der Stadt Erfurt mit den ausgehenden Briefen sind unter den Bezeichnungen Libri dominorum (Schreiben an Fürsten und Herren) und Libri communium (Schreiben an Städte, Behörden und Private) bekannt. Die eingegangenen Schreiben sind hingegen nur zu einem geringen Teil aufbewahrt worden. Was Nordhausen betrifft, so sind in einem Konvolut Reste der „Original-Korrespondenz des Rates in diplomatischen, gerichtlichen und Privatverhältnissen“, Abt. p: mit Städten und Ämtern 15. und 16. Jahrhundert, gesammelt. Darin sind 31 Schreiben des Rates der Stadt Nordhausen an den Rat von Erfurt vorhanden, davon 30 auf Pergament. 22 entfallen auf das 15. Jahrhundert (1446–1498), 7 auf das 16. Jahrhundert (1514–1569). Von Nordhäuser Privatpersonen werden nur noch 4 Schreiben aufbewahrt (Heinrich Smed 1479, Hermann Smed o. J., Heinrich Werther 1494, Heinrich Lichtenam 1498). Verstreut finden sich in den Akten weitere Nordhäuser Schreiben, so z. B. ein Ersuchen um Beistand bei drohender Hussitengefahr aus dem Jahr 1430.
Die Erfurter Missivenbücher sind in Leder gebundene Papierbände in folio, 250 bis 300 Blatt umfassend und jeweils ca. 600 und mehr Korrespondenzpartner enthaltend. Manchmal sind sie mit Korrekturen und Ergänzungen versehen. Häufiger wird ein „Inseratur“ angefügt.
Setzen die Libri communium mit dem Jahr 1472 ein, so sind die Libri dominorum von 1427 an mit einigen Unterbrechungen erhalten. In sie wurden anfangs auch Briefe an auswärtige Ratskollegien aufgenommen. Daher finden wir im ersten Band aus dem Jahre 1429 ein Schreiben „ad consules in Northusen“, 1430 mehrere, die gleichzeitig auch an Mühlhausen gerichtet sind: „ad consules in Molhusen et Northusen“, auch an einen Fürsten in einer Nordhäuser Angelegenheit, ad dominum Fridericum Lantgravium Thuringie betr. die „Thumeherrn zcu Northusen“, 1436 gleichzeitig an benachbarte Grafen: „ad dominum Ulricum de Reynsteyn, item ad dominum Heinricum de Helderungen, item ad consules in Northusen“.
Die Libri communium enthalten vorwiegend Schreiben an auswärtige Ratskollegien, an Beamte von Fürsten und Grafen sowie der Stadt Erfurt, an Angehörige des niederen Klerus und Adels. Wird anfangs nur der Empfänger genannt – 1472 erstmals: ad consules in Northusen; es fehlt häufig auch eine Datierung – auch ein einzelner Bürger: Reynhardo Weissenberge, civi in Northusen (1472), so wird später auch ein Betreff formuliert: in causa Hans Schilen, in causa salvi conducti u. a. Die meisten Schreiben sind an den Rat adressiert, seltener an eine spezielle Amtsperson, z. B. „an Michel Meinburg Statschreyber zu Northusen“(1524), „Henrich Thomassen Burgermeister zu Northausen“ (1528), „Leonhardt Pusch Schultheis zu Northusen“. Nicht selten sind die Empfänger geistliche Personen: „ad dominum Johannem Reyber Pleban“(1501), „ad Seniorem et Cappitteln ecclesie Sancte Crucis“(1502). Häufig beinhalten die Schreiben Angelegenheiten Erfurter Bürgerinnen und Bürger, wie in folgendem, das hier stellvertretend für andere zitiert werden soll:
„An Rath zu Northausen von wegen Hansen Storczebecher
U[nsern] D[ienst]z[uvor], Lieben freunde Hansen Storczebecher unsers burgers clagschrifft domit er an uns gelanget haben E[uer] L[iebe] inliegende zubefinden wo nun unser burger seynem angeben noch von seyner wasen Catharinen Storczebecherin etwas zugewarten oder sie als eyn closter Junckfrawe Ihnen hette beerben mogen, so bitten E L wir dinstlichs fleis E L wolle dem unsern dorzu soviel er berechtiget gunstige hulfe und forderung widerfharen lassen das umb E L wollen wir gefliessen vordienen g[eben] u[nter] u[nserm] s[ecret] freytags nach Udalrici anno [15] 42.“
Bisweilen antwortete der Erfurter Rat auch auf eine Anfrage seiner Nordhäuser Amtskollegen. So hatten sich z. B. die Nordhäuser, die den von Erfurt zugereisten Arzt Tarquinius Schellenberger zu ihrem Stadtphysikus machen wollten, nach seinem Leumund und seinen fachlichen Qualitäten erkundigt, worauf der Rat von Erfurt antwortete, „Das wir von demselben Licentiaten haben horen rehden, das er in der Ertzeney geschickt seyn soll. Auch sonst keyn Mangel, Dieweil Er sich In unser Stadt enthalten, an Ime befunden, Dan das uns angelangt Dy Weibs person, mit der Er Hauß heldt, soll nicht seyn Ehweib seyn, anderst wissen wir E. L. nichts sonderlichs von Ime Zuberichten.“ Auf weitere Details soll an dieser Stelle verzichtet werden.
Besonders reich ist der Bestand an Missivenbüchern in Mühlhausen, wo sie bis heute im reichsstädtischen Archiv in den 1615 eingerichteten Räumen im Schrank W aufbewahrt werden. Diese „Kopialbücher“ waren bereits im 14. Jahrhundert die umfangreichsten der Mühlhäuser Stadtbücher und sind nur als Papierbände erhalten. Von 1382 bis 1805 sind 76 Bände in folio vorhanden. Sie sind in gefärbtes Leder gebunden – die Farben variieren in Gelb-, Rot- und Grüntönen – und mit der in Gold geprägten Aufschrift „Copialbuch“ und dem Wappen der Reichsstadt Mühlhausen versehen. Auf der Rückseite sind in Gold die Worte eingeprägt „LIBER REIPVB IMPERIALIS MOLHVSINAE“. Die Bände sind zumeist 400 bis 500 Blatt stark und wenden sich an ca. doppelt so viele Adressaten. Anders als in Erfurt findet man ungeordnet Schreiben an den Kaiser neben solchen an bürgerliche Privatpersonen. Zwischen die Briefe sind häufig Recognitiones und Citationes, später auch Recipisse eingeschoben. Von Band 37 (1623) an wird auch auf Abschriften verwiesen, die sich in den Akten befinden, „videatur apud Acta“.
Im Vergleich zu Erfurt ist die Korrespondenz zwischen Mühlhausen und Nordhausen ungleich umfangreicher, einmal wegen der gleichartigen Stellung oder des ähnlichen Schicksals beider als Reichsstädte, zum anderen durch die größere geografische Nähe und die sich dadurch ergebenden vielfältigen Beziehungen zwischen ihren Bewohnern. Für beide Städte hat erstmals Gerhard Günther, bezogen auf die Jahre 1525 bis 1528, die in den Briefregistern enthaltenen Abschriften von ausgegangenen Schreiben und das in den Akten verwahrte Eingangsschriftgut zusammengestellt mit kurzen Inhaltsangaben und einigen im vollen Wortlaut oder in Auszügen wiedergegebenen Stücken.
In den ersten Bänden ist nicht sofort der Adressat genau zu erkennen; es werden als Empfänger nur Einzelpersonen genannt. Die verbündeten Städte Erfurt und Nordhausen werden als „Liben Frunde“ angeredet, andere wie z. B. Göttingen, Heiligenstadt, Eschwege oder Weißensee als „Ersame clugin Lude Radismeister und Rad von ...“ Man muss also häufig aus dem Inhalt zu erschließen suchen, an wen der Brief gerichtet ist. Auch eine Datierung ist anfangs noch nicht gegeben. 1415 wird ein Empfänger erstmals genauer bezeichnet: Litera scripta est ad consules in Northusen. Oder der Brief ist kurz überschrieben „north[use]n“, „In north[use]n“. Erstmals 1415 heißt es auch abschließend: „consulibus littera scripta est ad consules in north[use]n.“ Gleichfalls 1514 lesen wir in einem Brief an den Rat von Erfurt, in dem eine Beratung der drei Städte wegen des Bündnisses angeregt wird: „Libin frunde wir begern uch wißin daz uns unsir frunde von northuß[in] geschr[ebin] habin und bescheiden mit unßme brife der eynunge und buntniße uff deßm nehistin Donnstag by uch gein Erfforte czu komen.“ Die Datierung lautet bereits „feria tercia post nativitatis Marie“ ( = 10. September). Um 1440 finden wir die Anrede „Northusensibus“; um 1450 lautet die Anrede dann „Liebin frunde Radt zcu Northusen“.
Ähnlich wie bei den Erfurter Korrespondenzbüchern spielen auch hier private Anliegen Mühlhäuser Bürger und Bürgerinnen, die Suppliken an ihren Rat gerichtet und um Verwendung beim Nordhäuser Rat gebeten hatten, eine Hauptrolle, wofür folgendes Schreiben an den Nordhäuser Rat beispielhaft ist:
„U[nsern] D[ienst] z[uvorn]. Liebenn Freunde, Was an uns unser Bürger Hans Körber Suupplicando gelanget über E[uer] L[ieben] mitburgern Mattes Wuntsch Clagende sich beschweret unnd schlieslich gebetenn, Das werdennn E. L. aus dem inschluss vornemen unnd dorauff Beclagtenn diesenn seinenn Bürgernn durch schleunige Zahlung erbarlich zue lösenn mit ernst woll anzuehalten wissen.
Darumb wier den hiermit freuntlich woltenn gebeten habenn, Unndt seindt E. L. hinwieder freuntlich zue wilfahrenn ehrbotigk. Datum 30. Apr. [15]95.“
Säumige Begleichung von Schulden oder Erbschaftsangelegenheiten verursachten eine Korrespondenz, die sich mitunter über Jahre hinschleppte. Aber auch kollektive Anliegen der Handwerker und Kaufleute wurden vertreten, wenn der Rat z. B. um eine Kopie von Innungsstatuten oder um Geleitschutz für Mühlhäuser Gewandschnitter und Kaufleute bat, die den Nordhäuser Jahrmarkt besuchen wollten, der alljährlich zu Inventio und Exaltatio Crucis stattfand: „Liebin frunden wir begern und beten uch mid flyße, daz ir unsern frunden den koufluten dy da meynen czu suchene den Jarmart by uch nu nest czu dez heiligen Cruczes tage“ usw. (1415) Die Stadt Nordhausen möge den Geleitschutz von Straußberg an übernehmen.
Briefe wurden gerichtet auch an Amtspersonen wie den Schultheiß Hans Breytenbich (1481), den Stadthauptmann Siffert von Bültzingsleben (1481) oder Hans von Sunthausen (1512), Schultheiß Leonhardt Busch (1512), an die Kanoniker des Kreuzstiftes Hermann Pfeiffer und Melchior von Aachen (1529), an Bürgermeister Heinrich Thomas und Johann Hoffman (1528), Michael Meyenburg als Stadtschreiber, Syndikus und später als Bürgermeister oder an seinen Nachfolger als Syndikus Matthias Luder, aber auch an Einzelpersonen ohne Amt und Würden.
Zur Veranschaulichung der gegenseitigen Freundschaftsdienste und Hilfeleistungen zwischen den beiden Städten sollen abschließend einige Beispiele zitiert werden. Erstens: Der Marstall des Nordhäuser Rates besaß wegen seines Pferdebestandes einen weitreichenden Ruf. Bedeutende Fürsten des Reiches wandten sich mit der Bitte an die Stadt, ihnen ein gutes Pferd zu verehren. So bat im Jahre 1513 auch der Rat von Mühlhausen um einen Hengst aus Nordhausens Marstall für die Reise des Bevollmächtigten zum Reichstag. Zweitens: Als Mühlhausen 1525 zur Strafe für seine Rolle im Bauernkrieg bezüglich seiner kaiserlichen Privilegien und Regalien für lange Zeit stark beeinträchtigt war, wurde Nordhausens Hilfe in mancherlei Hinsicht in Anspruch genommen. 1535 wandte man sich an den Nordhäuser Schultheiß Leonhardt Busch, der damals noch ein Beamter des sächsischen Kurfürsten war, mit der Bitte, den Mühlhäusern, die vor Kurfürst Johann Friedrich nach Weimar befohlen worden waren, beizustehen und dem Fürsten der Stadt „Notturft“ vorzutragen. Drittens: Als im Juli 1541 in Mühlhausen die Pest ausbrach, flüchteten die beiden Bürgermeister, die am 10. August ahnungslos vom Reichstag zurückgekehrt waren, angstvoll in die benachbarten Städte, Sebastian Rodemann nach Erfurt und Johann Gödicke nach Nordhausen. Am 21. September 1541 forderte der Rat sein Stadtoberhaupt auf, spätestens am Montag nach Michaelis zurückzukehren und in dieser schweren Zeit seine Stadt nicht im Stich zu lassen.
Umgekehrt ließen auch die Mühlhäuser ihre Nachbarstadt in schweren Zeiten nicht im Stich. Als Nordhausen im Jahre 1540 durch Brandstiftung schweren Schaden erlitt, wandte sich der Mühlhäuser Rat in einem anteilnehmenden Schreiben an die Nachbarstadt und bot seine Hilfe an: „Wyr haben got erbarms den grossenn verterblichenn brandtschadenn kumer und elende So E. L. auch dernn selbigenn Burgerre und Inwonerre am vergangem mittewochenn durch bosse leutte Zcugefugt, mit bekemmertem und betrubtem gemotthe angehort, und ist uns das got weys hertzlich leidt, unnd wustenn wyr E. L. sampt E. L. Burgerrn, unsers vermogens behulfflichenn zcu sein, wullen wyr uns, das zcuthon hirmit erbettenn habenn.“ Als man in Mühlhausen Kunde von dem verheerenden Stadtbrand des Jahres 1612 erhielt, ließ man es nicht bei Worten bewenden. Am 26. August 1612 schrieb man nach Nordhausen: „tragen derowegen mit denselben sembtlich und sonderlich ein hertzliches undt Christliches mitleiden“ und spendete sofort gebackenes Brot von 10 Maltern Korn und einen Zentner Käse für besonders Bedürftige. Am 10. November übersandte die Stadt Mühlhausen eine Geldspende in Höhe von 500 Gulden, von denen die Bürgerschaft „uf unsere anordnung zu bezeigung ihrer condolentz 342 fl contribuirt Und die Ubrigen 158 fl aus gemeinen Vorrath von uns dazu gethan“.
Die aus Nordhausen eingegangenen Schreiben sind – reicher als in Erfurt – in den Akten relativ gut überliefert. Der Bestand „Des Raths zu Nordhausen Schreiben an E. E. Rath allhier“ enthält in Konvolut 1 zu den Jahren 1431 bis 1459 42 Schreiben, überwiegend behändigte Ausfertigungen auf Pergament, in Konvolut 2 (1460–1479) 35 Schreiben, in Konvolut 4 (1490–1499) 19 Schreiben usw., fortgesetzt bis zum Jahre 1647. Aber auch in anderen Beständen, z. B. in den Niedersächsischen Kreissachen, wurden Nordhäuser Schreiben abgelegt und verwahrt.
Die Missivenbücher der Städte Erfurt und Mühlhausen dienen also als wichtige Quelle zur spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte Nordhausens, insbesondere für das Zusammenwirken der Städte im Thüringer Städtebund und in Verbindung mit der Reichsstadt Goslar. Ein Überblick über die vorhandenen Archivalien, wie er z. Z. erarbeitet wird, kann der Forschung zweifellos nützliche Impulse geben.
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